Wie rum wird ein Schuh draus?
oder Soziale Medien sind … was für mich!
ein Beitrag von Jele Oppermann
Prof. Ulrich Kelber, der „Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit“ (1), hat im Juni 2021 einen Brief an alle Bundesministerien und obersten Bundesbehörden (2) geschickt. Darin weist er darauf hin, dass er von Abhilfemaßnahmen Gebrauch machen wird – ja, das ist eine Drohung –, wenn die besagten Stellen ihre Seiten auf Facebook nicht löschen; er meint, ein datenschutzkonformer Betrieb einer Facebook-Fanpage sei gegenwärtig nicht möglich. Schon im April letztes Jahr hatte er Bundesbehörden quasi verboten, WhatsApp zu nutzen (3). Und das mitten in der Pandemie, als wir wirklich andere Sorgen hatten als ein bisschen pille-palle Datenschutz! Ja, ist der Mann denn irre?!
Nein, das ist er natürlich nicht.
Er weiß einfach nur, dass Daten in jeder Hinsicht das neue Öl sind.
Denken wir zurück an die Fehler, die wir mit der „Karbonisierung“ unseres (Wirtschafts-)Lebens gemacht haben.
Wir haben wesentliche Teile des Lebens außer Acht gelassen. Als da wären …
1) Die Umweltfrage
Ein Verursacherprinzip (wer Schäden produziert, haftet dafür) haben wir nicht eingeführt. Die Regeln für Umweltschutz haben sich dem Paradigma des unbedingten Wirtschaftswachstums gebeugt. Eine Risikoabschätzung haben wir nicht vorgenommen und die Machbarkeit alternativer Wege haben wir nicht eruiert.
2) Die soziale Frage
Unter welchen Arbeitsbedingungen das Öl gefördert wird, hat uns genau so wenig interessiert wie die Frage, welche Regimes wir im Ausland damit stützen. Die negativen Auswüchse haben wir externalisiert, das heißt, die jeweilige Gesellschaft hat sie getragen. Gewinne wurden aber nur von Einzelnen gemacht (hier kann Norwegen als Ausnahme angesehen werden, das die Gewinne aus dem Ölgeschäft für das gesamte Land verwendet). Kann es für das globale Gemeinwohl gut sein, wenn sich Oligopole und Kartelle bilden (OPEC)? Nein, natürlich nicht.
3) Die wirtschaftliche Frage
Kann eine Wirtschaft, die auf endlichen Rohstoffen beruht (Kohle, Erdöl, Erdgas) und die wiederum endliche Senken nutzt (Grad der Wasser- und Luftverschmutzung, Landverbrauch), wirklich langlebig sein? Nein, natürlich nicht, sie zerstört sich selbst.
Ganz allgemein haben wir die langfristigen Folgen für kurzfristigen Nutzen ignoriert und uns um Problemlösung oder eine Exit-Strategie nicht rechtzeitig gekümmert.
Und nun tun wir dasselbe mit dem Wirtschaftsmodell von Facebook und Co., das auf Nutzer:innen-Daten als Währung beruht (4).
Wieder vernachlässigen wir die Auswirkungen auf die drei Lebenskreise.
1) Die Umwelt
Zu den mythologischen Erzählungen unserer Wirtschaft gehört, dass genau auf mich zugeschnittene Werbung, also eine, die mich interessiert, gut sei. Sie habe einen Informationsgehalt.
Stimmt das? Nein! Solche Werbung regt mich zum Konsumieren an und zwar viel mehr als eine x-beliebige Werbung. Im „besten“ Fall fühle ich mich mit meinen Interessen wahrgenommen und bin leicht zu überzeugen, dass ich etwas Neues benötige. Etwas, das ich vor der Werbung vielleicht noch nicht brauchte.
2) Das Soziale
Wie geht es den sogenannten Content Moderatoren, die – häufig im Globalen Süden und für wenig Lohn – „soziale“ Netzwerke durchforsten nach sexistischen, rassistischen, gewaltverherrlichenden etc. Inhalten, damit diese dann gelöscht werden können? Wer sind sie, wie sind ihre Arbeitsbedingungen (5)?
Nutzer:innen werden durch die Algorithmen von Facebook und Co. manipuliert. Prominent angezeigt werden Inhalte, die starke Reaktionen hervorrufen, negative wie positive. So entstehen auch Echokammern und Hasstiraden (6).
Nutzer:innen, die denken, nichts zu verbergen zu haben, ist oft nicht klar, was genau aus ihrem Verhalten auf Facebook und Co. geschlossen werden kann. Eine Studie zeigt, dass die leicht zugänglichen unspezifischen Facebook Likes verwendet werden können, um automatisiert und genau eine Reihe von hochsensiblen persönlichen Attributen vorherzusagen, darunter: sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, religiöse und politische Ansichten, Konsum von Suchtmitteln, elterliche Trennung, Alter und Geschlecht (7).
3) Die Wirtschaft
Die großen Tech-Unternehmen zahlen wenig Steuern (8) – daran wird auch die geplante Mindestbesteuerung nichts Wesentliches ändern –, sorgen dann aber mit der Ankündigung von freiwilligen Spenden ihrer Besitzer für gute Presse (9). Die Privatwirtschaft in ein Staatsgefüge einzubetten, muss aber in meinen Augen auch bedeuten, dass Gewinne über Steuern an den Fiskus mit den Menschen geteilt werden, um Daseinsvorsorge und Infrastruktur verlässlich für alle zu finanzieren. Philanthropie und Charity sind etwas Schönes. Sie können zusätzlich zur Steuerpflicht Projekte finanzieren, jedoch nicht zur unzuverlässigen Grundlage eines Gemeinwesens werden. Die Gates-Stiftung z.B. ist der zweitgrößte Finanzier der WHO (10).
Scheinbar sind sie kostenlos, doch lassen Facebook und Co. sich ihre Dienste tatsächlich mit Daten der Nutzer:innen (11) und mittels sogenannter Schattenprofile auch mit den Daten von deren Bekannten bezahlen (12). Dabei sind Facebook und Co. die Gewinner, die Nutzer:innen bezahlen viel zu viel für wenig Gegenleistung. Denn die Nutzer:innen sind gar keine Nutzer:innen, sondern Rohstoff. Gewinn machen die „sozialen“ Medien mit dem Verkauf und der Nutzung der Datenprofile.
Und damit ist leider noch längst nicht alles beleuchtet.
Der Dokumentarfilm “The Social Dilemma” (13) belegt drei Dinge ganz deutlich.
- Big-Tech-Firmen machen heimlich Kasse mit Informationen über Nutzer:innen
- Ihre Social-Media-Apps und -Websites sind darauf ausgelegt, süchtig zu machen
- Die Internetnutzung wird verfolgt und aufgezeichnet, um personalisierte Werbung zu platzieren
Trotzdem nutzen viele linke, grüne, gemeinwohlorientierte, umweltschützende, sozial-engagierte, öko, Post-Wachstum, kurz: an NACHHALTIGKEIT interessierte Gruppen Facebook und Co.
Denn jede Organisation steht vor der Entscheidung, ob sie Facebook und Co. nutzt. Facebook bedeutet eine theoretisch größere Reichweite, vor allem aber bedeutet es, mit Daten zu bezahlen (14). Auch mit Daten von Menschen, die nur wegen dieser einen – deiner! – Seite jetzt auf die Seiten von Facebook und Co. gehen, weil dafür im Newsletter oder auf der Website geworben wird.
Warum also nutzen Organisationen Facebook und Co.?
Na, weil dort so viele Menschen sind.
Warum sind dort so viele Menschen?
Weil alle Gruppen sich dort aufhalten und die Menschen dorthin holen oder deren Bereits-Dort-Sein festigen.
Meine Großmutter hat immer gesagt: “Der Teufel scheißt auf den größten Haufen” – pardon.
Das ist ein Teufelskreis. Wir nennen das Pfadabhängigkeit. Bei Erdöl und Kohle finden wir es albern, an schlechten Pfaden festzuhalten. Im Internet aber nicht?
Da wird kein Schuh draus.
Oder doch?
Es gibt das Fediverse (15). Anders als bei Plattformen wie Facebook und Co. steht im Fediverse nicht die Profitmaximierung im Vordergrund, sondern die Nutzenden bzw. Inhalte sind das Zentrum. Das Fediverse, ein Netzwerk aus Plattformen, ist föderal organisiert, das heißt, einzelne Instanzen (Server) sind miteinander verbunden. Daten werden nicht zentral gespeichert.
Da ist zum Beispiel der Kurznachrichtendienst Mastodon (16). Dank der verteilten und unabhängigen Natur des Netzwerks gibt es viele Moderator:innen, an die wir uns bei Fragen oder mit Problemen wenden können. Jede Instanz hat strenge Verhaltensregeln. Moderator:innen können Nutzer:innen sperren, die sich nicht an die (zuvor akzeptierten) Regeln halten. Das Netzwerk insgesamt kann Instanzen (Server) ausschließen, die sich nicht an Gesetze oder die übergeordneten Regeln halten, die also zum Beispiel Hass verbreiten (17).
Die Anzahl der Follower (die Währung, in der bei Facebook und Co. ein Account bewertet wird) ist auch im Fediverse sichtbar, aber sie hat keinen Einfluss auf die Sichtbarkeit des Accounts. Wie oft ein Inhalt geteilt oder favorisiert wurde, beeinflusst nicht, wo er steht. Die einzige Ordnungselemente sind die Zeit (strikt chronologische Anzeige) und die Ebene, die ich selbst wähle (Posts derer, denen ich folge; Posts auf “meiner” Instanz; alle Posts).
Wo ist der Ausweg?
Ausschleichen. Ja, wie bei einer süchtig machenden Medikation, kann die Dosis Schritt für Schritt verringert werden.
Erst Accounts im Fediverse für deine Organisation anlegen. Dann Informationen auf den daten-bezahlten Netzwerken darüber, dass mittelfristig umgezogen wird, posten. Eine Weile parallel posten. Dann zunehmend nur noch im Fediverse. Irgendwann die Accounts in den unsozialen Medien abstellen und löschen. Wahre Fans werden folgen. (18)
So rum wird ein Schuh draus!
Mich trefft ihr auf Mastodon: https://norden.social/@jele oder bei den freien Instant Messengern jele@conversations.im (XMPP) und @jele:matrix.org (Matrix)
Mein Fazit:
Facebook und alle anderen Dienstleistungen im Internet sind nicht kostenlos.
Viele kosten kein Geld, aber die Nutzer:innen bezahlen mit Daten und Inhalten. Da viele dieser Konzerne Steuerflüchtlinge sind, bezahlen wir alle (auch die, die diese Dienste nicht nutzen) mit entgangenen Beiträgen an die Allgemeinheit zum Erhalt der Infrastruktur. Die Befürchtung, dass das Nicht-Nutzen der großen quasi Monopolisten in die (teure) Informations-Steinzeit führt, ist unberechtigt. Es gibt Kommunikationsdienste, Softwarehersteller und alles, alles auch in der open-source Variante, manchmal kostenlos manchmal gegen Geld, aber immer offen.
Das Problem ist ja nicht auf Social Media beschränkt. Auch z.B. Microsoft ist ein Datenkrake, der versucht, seine Produkte als Standard durchzudrücken.
Eine Alternative zu Facebook und Co. kann es nicht geben, denn ihre Macht und Anziehungskraft liegt ja darin, dass „alle“ dort erreichbar sind. Aber es gibt eine (Kommunikations-)Welt ohne daten-bezahlte Social Media und ohne Monopole. Die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren jedenfalls ist aus gutem Grund jetzt weg von Facebook (19).
Nachsatz:
Ich leide übrigens nicht an Verfolgungswahn und bin darum so erschrocken über die Datensammelei. Ich bin, im Gegenteil, eher vertrauensvoll und nicht sehr misstrauisch, lasse die Haustür unverschlossen. Und ich habe beruflich mit Informatik zu tun, bin also keine, die Computer oder das Internet blöd findet, im Gegenteil!
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Quellen:
(1) www.bfdi.bund.de
(2) https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/DokumenteBfDI/Rundschreiben/Allgemein/2021/Facebook-Auftritte-Bund.pdf
(3) https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/DokumenteBfDI/Rundschreiben/Allgemein/2020/Rundschreiben-Nutzung-WhatsApp.html
(4) https://digitalcourage.de/suche?keys=facebook
https://www.kuketz-blog.de/?s=facebook
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Content-Moderation
(6) https://www.heise.de/news/People-s-Declaration-Buendnis-fordert-Aus-fuer-Manipulationsmaschine-im-Netz-6139013.html
https://www.peoplesdeclaration.net
(7) https://doi.org/10.1073/pnas.1218772110
(8) https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/konsens-suche-bei-g20-wider-die-digitale-steuerflucht-16227744.html
(9) https://www.manager-magazin.de/unternehmen/personalien/mark-zuckerberg-warum-die-milliardenspende-gar-keine-ist-a-1066099.html
(10) https://www.tagesschau.de/faktenfinder/who-finanzierung-101.html
(11) https://mobilsicher.de/ratgeber/facebooks-unsichtbare-datensammlung
(12) https://digitalcourage.de/blog/2019/tangens-facebook-kartellamt
https://digitalcourage.de/blog/2019/tangens-facebook-kartellamt
https://gizmodo.com/how-facebook-figures-out-everyone-youve-ever-met-1819822691
(13) https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Dilemma_mit_den_sozialen_Medien
(14) https://digitalcourage.de/themen/facebook/facebook-eine-grundsatzentscheidung
(15) https://digitalcourage.de/digitale-selbstverteidigung/fediverse
https://www.kuketz-blog.de/das-fediverse-unendliche-weiten-als-schaubild-diagramm
(16) https://joinmastodon.org
https://de.wikipedia.org/wiki/Mastodon_(Software)
(17) https://mobilsicher.de/ratgeber/das-fediverse-die-bessere-social-media-welt#toc6
(18) https://digitalcourage.de/blog/2018/kommt-mit-uns-ins-fediverse
(19) https://blogs.helmholtz.de/augenspiegel/2021/07/helmholtz-facebook-seite-abgeschaltet
Weiterlesen:
In Wikipedia (de.wikipedia.org) gibt es Informationen zu den kritischen Themengebieten innerhalb der Sachartikel. Ein guter Startpunkt, um vom Hundersten ins Tausendste zu kommen, ist https://de.wikipedia.org/wiki/Social_Media
Tipp: In anderen Sprachen haben die Artikel manchmal andere Inhalte, darum lohnt es sich, in der linken Leiste die Sprache auch zu wechseln, falls du mehrsprachig bist.
Die verlässlichste Quelle zu Datenschutz und Freiheit ist der Chaos Computer Club (https://www.ccc.de und https://media.ccc.de), der auch vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (https://www.bsi.bund.de) regelmäßig angehört wird.
Ebenfalls empfehlenswert: https://digitalcourage.de und https://www.kuketz-blog.de
Essay von John Lanchester über das Phänomen Facebook (Lohnsklaven, Überwachung, Wachstum, Betrug)
Blog der GLS Bank: Facebook – die Manipulationsmaschine?
https://blog.gls.de/bildung/facebook-die-manipulationsmaschine
GLS Bank – Podcast – Facebook und Datenschutz
Über „Unfälle“ in Social Media
Identitätsdiebstahl
Übernahme von Accounts
https://www.zdnet.de/88376361/hackergruppe-ourmine-kapert-social-media-konten-von-15-nfl-teams
Wie Google und Facebook die Gesellschaft beherrschen
Schaden Social Media dem freien Willen? Arno Orzessek über das digitale Fasten.
Harvard-Sozialwissenschaftlerin und Ökonomin Shoshana Zuboff
Überwachungskapitalismus am beispiel Google: Wie wir Googles Sklaven wurden
Auswirkungen der Automatisierung in Social Media: Wie Bots Datensätze der Sozialforschung verzerren
Beispielhafte Darstellung, was der Instant Messenger WhatsApp mit Daten treibt
Mark Zuckerberg wants people to join Facebook groups, but critics say it’s another way to collect your most intimate data
Soziale Mediennetzwerke schaffen es nicht, gefälschte Konten ausfindig zu machen
Social-Media-Unternehmen von Facebook bis YouTube können Menschen nicht davon abhalten, gefälschte Konten einzurichten, falsche Online-Follower zu kaufen und nicht authentische digitale Inhalte zu verbreiten, so ein Bericht, der von einer von der NATO akkreditierten Gruppe veröffentlicht wurde.
Die Ergebnisse – basierend auf Analysten, die Tools zur Manipulation von sozialen Medien gekauft haben und dann testeten, wie die Unternehmen darauf reagiert haben – stehen in krassem Gegensatz zu den öffentlichen Erklärungen von Facebook, Twitter und Google, die behaupten, sie alle hätten seit der US-Präsidentschaftswahl 2016 solche Aktivitäten erheblich eingeschränkt.
Das Dilemma zeigt sich ja auch sehr deutlich. Nichts desto trotz möchte ich das meine Behörde in Sozialen Medien verbleibt, weil ich es richtig und wichtig finde. Der Weg muss sein, dass die Netzwerke nachbessern und nicht dass alle plötzlich weg sind. Facebook / Twitter und Co. werden bleiben, da können die deutschen Datenschützer sich auf den Kopf stellen. Auch als Marketing Instrumente sind diese nicht mehr wegzudenken, das ist ein Fakt. Diese Netzwerke leisten aber auch viel Gutes , so hätte “Fridays for Future” nie so groß werden können. Das auch weltweite NGOs auf solche Netzwerke angewiesen sind um z.B. Spenden zu generieren, zeigt der folgenden Artikel. Gruß Werner
https://www.amnesty.org/en/latest/news/2019/11/we-called-out-facebook-and-google-but-need-them/